Stille Reserve: Carearbeit verhindert größtenteils Erwerbstätigkeit

In den nächsten 13 Jahren werden die Babyboomer, also die zwischen 1957 bis 1969* geborenen Erwerbstätigen, in Rente gehen. Hiervor zittert die deutsche Wirtschaft schon jetzt, denn zahlenmäßig waren dies die geburtenstärksten Jahrgänge. Was also tun, wenn diese Arbeitskräfte zu hauf wegfallen?

Schon jetzt ist der Fachkräftebedarf in der gesamten Wirtschaft und im öffentlichen Sektor zu spüren. Lange Wartezeiten auf Dienstleistungen, Termine, die Bearbeitung bei den Behörden oder die Verlagerung auf Customer Self Services sind in Deutschland keine Seltenheit mehr. Laut der Nachrichtenagentur dpa-AFX berechneten Wirtschaftsinstitute bereits seit Längerem den Wachstumsverlust, der aus dem Fehlen von schierer Arbeitskraft herührt. So veröffentlichte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), dass 49 Milliarden Euro mehr Bruttoinlandsprodukt möglich wären, wenn es nur genug Arbeitskräfte gäbe.

Es wirkt eher absurd, dass parallel dazu nicht nur 2,75 Millionen Arbeitslose in Deutschland stehen, sondern ebenfalls noch Menschen, die arbeiten könnten und gerne wollten, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Diese bilden die so genannte "stille Reserve des Arbeitsmarkts". Diese Menschen kümmern sich um ihre Eltern oder Kinder, die pflegebedürftig sind, da die Betreuung von anderer Stelle nicht ausreicht. Die betroffene Bevölkerungsgruppe wuchs laut statistischem Bundesamt von 3 Millionen in 2022 auf 3,2 Millionen im Folgejahr an. Dies betrifft Menschen zwischen dem 15. bis zum 74. Lebensjahr. 1,4 Millionen gibt es außerdem, die arbeitslos sind und auf dem Arbeitsmarkt aktiv eine neue Arbeit suchen.

Die stille Reserve ist übermäßig weiblich

Fast 57 Prozent der stillen Reserve sind Frauen, damit ist sie übermäßig weiblich. Jede dritte Befragte (32 Prozent) in der Altersgruppe zwischen 25 und 59 Jahren gab an, dass sie nicht arbeiten könne, weil sie privat pflege oder betreue. Nur jeder 25. männliche Befragte in der gleichen Altersgruppe gab diesen Grund im Vergleich an. Nur 4 Prozent machen sie aus. Allerdings waren es bei 35 Prozent der männlichen Betroffenen gesundheitliche Gründe, die dazu führten, nicht zu arbeiten.

Über die Hälfte der Reserve, fast 60 Prozent, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine Hoch-/Fachhochschulreife. Sie sind also gut ausgebildet, dies macht es umso tragischer, dass diese Menschen teils nicht schnell für den Arbeitsmarkt verfügbar sind oder gar nicht nach einer Anstellung suchen. Die Betroffenen meinen, keinen Arbeitgeber zu finden, der auf ihre Bedürfnisse eingehen könnte. Das Statistikamt gibt an, dass der Mikrozensus 2023 diese Gruppe mit 1,3 Millionen Menschen zählt.

Festzuhalten gilt, dass die "stillen Reservisten" auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Wie kann man diese also aktivieren? Enzo Weber, Wissenschaftler beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), beschäftigt sich seit längerer Zeit mit diesem Phänomen. Er stellt fest: "Die berufliche Entwicklung von Frauen knickt mit der Kinderphase häufig ab. Die dauerhaften Verluste sind dabei weit relevanter als die Stundenreduktion, während die Kinder klein sind."

Ein Betreuungssystem 24/7

Meiner Meinung nach wäre ein lückenloses Betreuungssystem, welches 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche eine Betreuung und Pflege von Angehörigen jeden Alters ermöglicht, die beste Lösung. Es geht nicht darum, seine Liebsten abzuschieben, sondern eine Freiheit der Entscheidung in Sachen Arbeitsleben zu ermöglichen. Zusätzlich würde es dazu führen, dass es kein Risiko wäre, Kinder aufzuziehen und gleichzeitig zu arbeiten, da jederzeit eine Betreuung, auch bei Schichtarbeit oder Krankheit der Kinder, möglich wäre.

Enzo Weber ist sich sicher, dass weitere Ansatzpunkte auch eine Verbesserung der flexiblen Arbeitszeitmodelle sowie die Durchlässigkeit zwischen Voll- und Teilzeit darstellen. Das würde seiner Meinung nach, Frauen direkt helfen und auch die Unterstützung durch die Partner erleichtern.

Zugewanderte und 50plus mehr fördern

Nach Enzo Weber, liegen die Erwerbsquoten von zugewanderten Frauen in einem ausgesprochen niedrigen Bereich. "Insgesamt arbeiten viele Zugewanderte unter dem Potenzial, das ihre Fähigkeiten hergeben würden", so Weber. 

Gerade Menschen ab 50 Jahren sollten zudem frühzeitig gefördert werden, um ihre Arbeitsfähigkeit möglichst lange zu erhalten. Insbesondere in körperlich anstrengenden Berufen, ist Weber der Meinung, dass der Blick auf verwandte Tätigkeitsprofile fallen sollte, bei denen die erworbenen Stärken weiter eingebracht werden könnten. Er spricht sich daher für eine "Qualifizierungswelle 50+" aus.

*laut DeStatis

Bild: Nicole Wolf / unsplash.com

Kalender Veröffentlicht am 07.07.2024 und zuletzt geändert am 07.07.2024.

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